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Neuer Maidan 2019?

13. Januar 2018 Peter Mühlbauer

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Der Kiewer Maidan im Dezember 2013. Foto: Mstyslav Chernov. Lizenz. CC BY-SA 3.0

 

Eine Atlantic-Council-Mitarbeiterin warnt Staatspräsident Petro Poroschenko und bringt eine Machtübernahme durch das Militär ins Spiel

Diane Francis, eine vor allem durch ihr Lob für die chinesische Ein-Kind-Politik bekannte Professorin an der Ryerson University in Toronto und Senior-Fellow-Mitarbeiterin des Washingtoner Atlantic Council, hat den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in einem Text auf der Website des Think Tanks öffentlich gewarnt, dass es 2019 zu einem erneuten Maidan-Umsturz in Kiew kommen könne, weil die Situation Anfang des Jahres 2018 der im Jahr 2013 ähnle.

Ihrer Einschätzung nach "schikaniert" Poroschenko die Opposition und "verschleppt Reformen". Wie unter dem damaligen Staatspräsidenten Janukowitsch gebe es immer noch keine wirksame Verfolgung der Korruption, keine Verantwortlichkeit des Parlaments und keine "Herrschaft des Rechts".

200 "Technokraten", die von "internationalen Sponsoren und Philanthropen" unterstützt werden

Neben einer umgehenden Einsetzung eines Obersten Anti-Korruptions-Gerichts hält Francis auch die Abschaffung der parlamentarischen Immunität für Abgeordnete der Rada und das Verbot von Wahlwerbung im Fernsehen für notwendig, um die Macht der Oligarchen zu brechen. Gelingt dies nicht, könnte es ihrer Prognose nach zu Protesten und einem erneuten Umsturz kommen. Francis' Informationen nach trifft sich eine Gruppe aus etwa etwa 200 "Technokraten", die von "internationalen Sponsoren und Philanthropen" unterstützt wird und einen "glaubwürdigen Übergang" durchführen könnte, bereits jetzt "informell".

Bei einem erneuten Machtwechsel würden den Worten der Atlantic-Council-Mitarbeiterin nach auch "Tausende patriotische Veteranen" der Kämpfe mit den Separatisten in der Ostukraine und das im Vergleich zu 2014 sehr viel mächtigere Militär eine potenziell wichtigere Rolle spielen: Die Zahl der einsatzbereiten Soldaten hat man von damals etwa 6.000 auf 204.000 erhöht. Hinzu kommen 46.000 Paramilitärs, 53.000 Grenzschützer und 60.000 Nationalgardisten. Außerdem hat der US-Kongress im Dezember beschlossen, dem ukrainischen Militär infrarotgeführte Javelin-Panzerabwehrraketen und mauerbrechende M107A1-Präzisionsgewehre mit einer Reichweite von 1,8 Kilometern zu liefern.

Russland stationiert Raketen auf der Krim

Diese Aufrüstung sorgt Francis' Meinung nach dafür, dass die Ukrainer bei einem erneuten Regimewechsel keine Angst mehr vor einer russischen Invasion haben müssen. In diesem Zusammenhang gibt sie sich als Anhängerin der Verschwörungstheorie zu erkennen, dass der 2014 gestürzte Staatspräsident Janukowitsch den Russen absichtsvoll den Weg für eine Annexion der "Hälfte des Landes" bereitete.

Russland hat auf die im Dezember beschlossenen amerikanischen Waffenlieferungen mit neuen Boden-Luft-Raketen auf der Halbinsel Krim reagiert. Die nahe Sewastopol stationierten Raketen sollen dem Luftstreitkräftekommandeur Viktor Sewostjanow nach das S-400-Luftabwehrsystem bei Fedosia ergänzen und können ballistische Raketen in einer Entfernung von bis zu 60 Kilometern abschießen.

Saakaschwili

Bereits im Oktober war es in Kiew zu gewaltsamen Protesten gegen Poroschenko gekommen, bei denen Demonstranten Forderungen nach einem Obersten Anti-Korruptions-Gericht, einer Abschaffung der Immunität von Rada-Abgeordneten, einer Einschränkung der Wahlwerbung im Fernsehen und einem Wechsel vom Mehrheits- zum Verhältniswahlrecht vorbrachten (vgl. Proteste vor der Rada: Bildet sich ein neuer Maidan?). Organisator der Proteste war der ehemalige georgische Präsident Michail Saakaschwili, der sich von einem Verbündeten Poroschenkos zu einem Rivalen entwickelte (vgl. Ukraine bürgert Saakaschwili aus).

Poroschenko, der Saakaschwili zum Gouverneur von Odessa gemacht hatte, lobte den Georgier zuerst überschwänglich, ließ ihn aber im November 2016 fallen, nachdem er seine Korruptionsvorwürfe auch gegen das Umfeld des Präsidenten erhob. Saakaschwili gab seine politischen Ambitionen in der Ukraine nach seiner Absetzung als Gouverneur jedoch nicht auf, sondern gründete eine Partei namens "Bewegung der neuen Kräfte", mit der er Poroschenko in einem Fernsehclip als "Schokoladenarsch" beleidigte.

Im Dezember scheiterte eine Verhaftung Saakaschwilis wegen Hochverrats an dessen Anhängern, die ihn aus dem Kleinbus des ukrainischen Inlandsgeheimdiensts befreiten (vgl. Ukrainische Regierung gegen Saakaschwili). Der Rechte Sektor, aus dem ein bedeutender Teil der Bürgerkriegsveteranen kommt, hat sich bislang noch nicht auf die Seite Saakaschwilis geschlagen. Er kritisiert den Georgier als "Bauern auf dem Schachfeld der Oligarchen". (Peter Mühlbauer)